Ein Stück mit und für Stimme, Ruhr und Ente von Elisa Kühnl


21.01.2021Kunst
Fritzi Schneckenhaus
Illustration: Svea Mausolf

Ich hatte die Performance unter der Brücke erwähnt, und Julius hat mich gefragt: Warst du auch bei Elisa Kühnl? Ich habe geantwortet: Ja!

Das war in Mülheim an der Ruhr, im August, als man noch raus durfte. Ich musste drei Runden mit dem Auto drehen, bis ich einen Parkplatz fand und dann zum Tretbootverleih sprinten, aber alle Tretboote waren schon weg. Stattdessen lief ich... das Ufer entlang und traf auf dem Weg bekannte Gesichter. Wir erreichten gemeinsam die Konrad-Adenauer-Brücke, eine auf Beton-Säulen schwebende Bundesstraße. Mit Graffiti verziert und umgeben von Grün und Müll, bot sie die Kulisse für die Performance. Coronakonform standen etwa zwanzig Performer*innen in großen Abständen verteilt am Ufer, auf dem Mittelsteg der Brücke, umgeben vom Wasser, sowie auf der anderen Seite der Ruhr. Ein wenig enttäuscht schaute ich auf die glücklichen Tretbootfahrer*innen, die unter der Brücke sanft umhertrieben.

Die Performance hatte bereits begonnen: Man hörte es zischen, pfeifen und wispern – so leise, dass es beinahe mit den Geräuschen des Wassers verschmolz – ein Gurren, sschhh, mmmmh, haah, brrrr, die Stimmen klackten und peitschten, schschschschhh, ktschiou, ein Zwitschern, ein sich intensivierendes tschtttschtttsch, aus dem rhythmische Patterns zusammenwuchsen, um dann wieder auseinanderzudriften. Jemand warf ein Hah ins Geschehen, das sogleich von den Anderen aufgegriffen und anschließend zu einem Wuuh gemacht wurde. Daraufhin setzte ein leises, sich zunehmend steigerndes Jaulen ein, gegen das einzelne Hes versuchten anzukämpfen, bis das Jaulen nahezu verschwunden war. Aber das Jaulen kam aus dem Hinterhalt zurück und blähte sich immer weiter auf, bis es erneut den akustischen Raum dominierte. Das ließen sich die Hes nicht gefallen – Attacke! Das Jaulen versuchte zu beruhigen, aber es war nur eine Attrappe, denn es drehte sich kurz darauf in die Höhe! Nach einem Schlagabtausch zwischen Hahs und Huhs einigte man sich auf ein versöhnliches, mehrstimmiges Aaaa.

Hinter einem Busch schüttete jemand Brot ins Wasser. Die angelockten Enten und Möwen schnatterten und schrien, was von den Performer*innen übernommen wurde, aber eher leise und friedlich. Ab und zu kamen Leute in Motorbooten vorbei, sahen die vielen Menschen, wunderten sich, stellten den Motor aus, hörten die leisen Stimmen und gerieten ins Staunen. Ein Krankenwagen fuhr mit Martinshorn über die Brücke und der Chor übernahm, leise und versetzt, lalü lalü lalü lalü.

Ich musste an John Cage denken, der sagte: „Alles ist Musik“ –  also alles, was in den Blick fällt, beziehungsweise ins Ohr, oder alles, dem man Beachtung schenkt. Eine große Freude, eine aufgeregte Entspanntheit erfüllte mich. Die Live-Stimmen machten alles präsenter und waren es auch selbst, ohne digitale Verfremdung, wie in irgendeinem Livestream. Hören als körperliche Erfahrung. Das hatte gefehlt (und fehlt jetzt wieder), das kann man nicht medial nachbauen, oder zumindest schlecht.

Nach einer halben Stunde etwa war es vorbei, die Performer*innen setzten auf Booten über und man verfiel in Gespräche in der Abstand-Menschentraube. Der Himmel war grau, die Stimmung ausgelassen und ruhig. Jemand holte für alle Falafel.


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