Das letzte Mal wie der Karneval ausgefallen ist  ('91)


14.02.2021 | Karneval
Esther Elena hat sich mit Till unterhalten, der Karneval seit über 40 Jahren mit der alternativen Gruppierung Ahl Säu feiert.
Illustration: David Auerbach


Ich muss vorher ganz kurz einen Satz zu '91 oder überhaupt allgemein sagen. Das Verrückte ist, wenn du dich mit Leuten über diesen Karneval unterhältst, irgendwo schimmert immer so ein bisschen durch, „da waren wir die Ersten.“ Oder, „wir haben den Ausschlag gegeben“ oder so. Das wird eventuell bei ein paar Sachen, die ich erzähle, auch so sein, aber das ist Blödsinn. Es waren unheimlich viele Leute und eine Stadt, die langsam aufwachte. Ja, was soll das eigentlich!?

Ich habe damals in Passau gelebt und die Diskussion in Köln überhaupt nicht mitgekriegt. Ich war in der Ausbildung zum Krankenpfleger und es war Golfkrieg.... Wir haben dagegen in Passau demonstriert, haben Infostände gemacht und so.

Den Krieg habe ich für mich überhaupt nicht als reale Bedrohung empfunden. Da war gerade ein kalter Krieg zu Ende von '89/90. Das war ne echte Bedrohung. Es war plötzlich klar, der Gorbatschow, der würde sich nicht einmischen. Jeder vorher, egal wer der Chef im Kreml war, ob Breschnew oder Andropow oder wie sie alle hießen, hat die Souveränität der Oststaaten betont. Die haben aber alle gewusst, das ist Quatsch. Wenn wir hier irgendeine Politik machen, die Moskau nicht passt oder Aufstand bei uns im Land passiert, dann werden die Russen mit ihren Panzern einrücken. Das ist auch passiert. Der Gorbatschow hat genau das Gleiche gesagt und die auch, jaja, dat kennen mer, aber dann meinte der das auch so. Der Honecker von der DDR war total sauer auf den Gorbatschow, weil er eben in anderen Ländern nicht eingeschritten ist. In dem Augenblick ist einfach die größte Bedrohung überhaupt, über 30, 40 Jahre, eigentlich seit dem zweiten Weltkrieg, plötzlich weggefallen. Die Amis und die NATO und Adenauer oder sonst wer, konnten nicht mehr sagen, “die bösen Kommunisten”. Und die “bösen Kommunisten” konnten nicht mehr sagen, “der böse Westen”. An Krieg hat man überhaupt nicht mehr gedacht.

Und dann machen die Amerikaner den Golfkrieg. Man muss dazu sagen, das war der erste Live Fernsehkrieg. Die haben medizinische Ausdrücke benutzt. Die haben gesagt, hier, diesen Bunker haben wir jetzt chirurgisch mit der ersten Rakete aufgesprengt und mit der zweiten zerstören wir den ganz. Die haben das in Fernsehbildern gezeigt und so getan, als ob sie hier einen gerechten Krieg machen und immer nur die richtigen Ziele treffen, was natürlich vollkommener Blödsinn war. Aber das war nur mal Kriegspropaganda. Deshalb habe ich die Solidarität überhaupt nicht kapiert, weil es vollkommen klar war, die Amis konnten es sich nicht leisten, dass da irgendwer mit dem Öl plötzlich Geschäfte macht, der nicht auf ihrer Linie ist. Stattdessen hieß es „Freiheit für Kuwait“, einen kleinen Staat, den vorher keiner ausschreiben konnte, von dem niemand was wusste.

Dann kriege ich also mit, aus Düsseldorf und dann Mainz, oder umgekehrt, kam plötzlich, wir sagen den Karneval ab. Wegen einem Ölkrieg sagen die Karneval ab. Irgendwann habe ich in Köln angerufen und frag, „wat is loss?“ und die sagen, „ja, die haben den offiziellen Dingsbums abjesaht.“
Dann hab ich gesaht, „dat is mir doch egal, ich geh doch Karneval feiern, die können uns doch nicht verbieten auf die Straße zu gehen.“
„Ne, aber es wird wohl keiner feiern.“
Dann hab ich gesaht, „dat sinn ich üvverhaup nit en. Su en Schwachsinn.“
Mittwoch Abend oder Mittwoch Nacht, ich hatte, glaub ich, noch eine Schicht, bin ich nach Köln gekommen und hab gemerkt, es war ne total bedrückte Stimmung.

Drinnen durfte man weiterfeiern, nur den offiziellen Karneval draußen, die Züge und Aufmärsche, das wurde gestrichen. Aber im Saal wurde gefeiert. Da hieß es, wegen der Kohle, die wollen wir ja verdienen. Nur nach Außen wollen wir das nicht zeigen. Das kam erst am 17. Januar, die haben das erst Ende Januar entschieden. Die Verträge liefen noch, die ganzen Karten waren verkauft. Damit war eigentlich Trauer verordnet draußen. Und ich nur, Moment mal, ich will Karneval feiern. Jetzt macht mir das eher so richtig Spaß. Das war wie so ne Träne im Knopfloch, so ungefähr.

Am nächsten Tag um 10 Uhr bin ich mit meiner Trumm (Trommel, Anm.) zum Alter Markt. Ich war zu dem Zeitpunkt, 32, 33 und bestimmt 15 Jahre oder länger nicht mehr auf dem Alter Markt zu Karneval gewesen. Ich habe ein paar Leute gefragt und die nur, „Wat willste da, passiert doch gar nix“, und dann hab ich gedaach, is mer egal.
Dann bin ich dahin und da standen, vielleicht waren’s 11 oder 12, verlorene Lappenclowns. Die haben schon von Weitem gewunken, „wo küss do dann her?“
„Uss Passau!“
Wir haben gesungen und ich habe denen noch Lieder von den Ahl Säu beigebracht. Das muss man sich mal vorstellen, 10 Leute um 10 Uhr, das war unbegreiflich. Da waren unheimlich viele nicht geschminkt, aber die kamen vorbei, sahen uns, stellten sich dazu und haben sich gefreut. Irgendwann spielten ein paar Leute Gitarre. Wir haben ja gesungen und ich meinen Schlägel geschwungen. Die spielten da so hinter uns und ich hab gesaht,
„Hör mal, die spillen ja Lieder von de Bläck Fööss.“
Und der neben mir: „Du Jeck, dat sin de Bläck Fööss.“
Aber wir sind da nicht hingegangen und haben uns das angehört. Wir haben einfach weitergefeiert. Ich bin noch nicht mal auf die Idee gekommen.
Um 12 waren da schon ein paar Tausend. Ich hatte sogar Schminke mitgenommen und angefangen, Leute, die nicht geschminkt waren, aber geschminkt gewesen wären, zu schminken. Am Schluss hatte jeder einen Stift in der Hand und mein Schminkkasten war fott.

Für mich war klar, Rosenmontag gehen wir (die Ahl Säu, Anm.), wie immer, ne Stunde vorm Zoch. Jetzt hatten wir den Vorteil, wir brauchten nicht ne Stunde vorm Zoch gehen, sondern wir konnten ne Stunde länger schlafen. Da wir ja auch immer erst um 5 Uhr aus den Kneipen rausliefen, war das ne wichtige Stunde.
Am Alter Markt war ich mit anderen Ahl Säu zufällig an der Spitze und wir warteten, wie das beim Zoch so ist, ein bisschen, dass Andrere wieder Anschluss fanden. Vor uns fuhr ein Polizei Auto und die waren mega genervt. Wir standen etwas über knöchelhoch im Schnee und die rutschten da mit ihrem Auto rum und kamen zu uns an, so richtig genervt:
„Wo geht ihr denn jetzt lang?!?“
Und wir so, „ja, dat müsse mer erstmol üvverläge wo der Zoch langgegange is, ohja, wir gehen jetzt gleich rechts.“
Und dann spurkelte der zum Auto und sagte: „Die gehen jetzt rechts!“

Ganz am Schluss, am Chlodwigplatz, hörte der Zoch auf. Wir kamen die enge Severinstraße runter und haben da erst gemerkt, wie viele das waren. Das war vorher nicht so ganz zu begreifen, weil sich das auch immer verlief. In der Severinstraße trafen sich dann alle und das war Wahnsinn. Plötzlich stockte das Ganze und es war kalt und nicht geräumt. Wir sind durch den Schnee gestapft und mussten stehen bleiben und dann steht da vorne, vor dem Severinstor, richtig davor geparkt, anscheinend Tommy Engel. Der wollte den Leuten seine Begeisterung zeigen und wedelte mit den Händen und ich nur so, „Wat sull dat dan jetz!?“ Der sang anscheinend aus Solidarität ein Lied, die hatten auch ne Anlage auf dem Lkw aufgebaut. Dadurch hielt der nur den ganzen Zoch auf. Ein Zoch muss ziehen, weißte! Und dann hörte dat nicht auf. Wir waren ne Masse und der machte da so einen auf Einzeldings, ich mein, der meinte das nett, aber... Dann hab ich nur gesaht, „Wesst er wat, wir trommeln den jetz weg!“ Und dann han wir da reingehauen, da war wie so ne Trommellawine durch die Severinstraße und der war überhaupt nicht mehr im Takt. Die sind dann ganz schnell abgezogen und wir konnten endlich durch dieses Tor ziehen. Du kommst ja, wenn du vom Waidmarkt aus aufs Severinstor zugehst, und mittags steht die Sonne im Süden und genau da, in die Richtung zogen wir hin und irgendwann mal kommst du in diesen Schatten des Severinstors, da wird es erstmal ein bisschen dunkel und es war die ganze Zeit bewölkt und Schnee und in dem Augenblick, wo wir durch das Severinstor gehen, reißt eine Wolkendecke auf und die Sonne knallt uns richtig ins Gesicht.

Der Ausfall vom Karneval vor 30 Jahren, das war einfach nicht ernst zu nehmen. Ich habe aber auch gedacht, für mich war das eigentlich klasse, dass ich die Typen mit ihren Holzgewehren und die dicken Typen auf ihren armen Pferden in Uniform, nicht sehen musste. Ich habe mich wahnsinnig gefreut beim Rosenmontagszug, dass der Karneval endlich politisch wurde. Diese Kombination aus politischer Demonstration und gleichzeitig Karneval feiern und trommeln, das war einfach grandios.

Dieses Jahr gibt’s überhaupt nichts zu diskutieren, finde ich. Deshalb hab ich gesaht, dat Karnevalsmotto ist für dieses Jahr eigentlich „Et gitt Sollsche un Seusche“. Da geht’s eigentlich darum... Ach Leute, lasst et doch sein. '91 haben wir gesehen, ich sag jetzt wir, und damit mein ich alle, die anfangs auch auf die Straße gegangen sind, wir haben’s geschafft, dass immer mehr ging. Genau das Gegenteil muss jetzt passieren. Sonst können wir nächstes Jahr schon wieder nicht feiern. Ganz einfach.


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